Der Kult der Midara

Midara die Verfemte, Göttin durch Geburtsrecht, geboren durch Betrug, verachtet von Göttern, gefürchtet von Menschen. Diese wenigen Worte beschreiben die Haltung des Kultes am besten: Midara - eine Göttin wird von ihren Mitgöttern für Dinge, die vor ihrer Geburt lagen, schlecht behandelt. Wie kann dann ein Mensch Gnade oder gar Hilfe von diesen grausamen und zynischen Unwesen erwarten?

Die Antwort des Midarakultes ist einfach: gar nicht. Die Götter haben den Menschen geschaffen, um etwas zu haben, das sie herumtreten können. Sie werden stets alles in ihrer Macht stehende (i.e. alles, was nicht zu auffällig in den normalen Lauf der Welt eingreift) tun, um ihnen zu schaden und so ihren grausamen Spaß zu treiben. Oftmals wird ein scheinbar sorgsam ausgearbeiteter Plan so vereitelt, ein Unschuldiger ins Elend gestürzt oder einfach nur ein guter Tag zu einer Prüfung des Leides und der Erniedrigung. Während viele Menschen hierin nur das normale Geschick ihrer Gattung sehen oder eine Prüfung ihres Glaubens erkennen, gibt es manchen, welcher zornig auf die Trümmer seines Lebens sieht, und nur noch eines erkennen kann: Rache. Rache an den Menschen, die ihm dies angetan, Rache an der Menschheit, die dies zugelassen, oder als letzte Konsequenz auch Rache an den Göttern, die dies verursacht.

Hier erkennt man die durchaus starke Bindung zum Kult der Nugata: Wen solche Gedanken plagen, der ist vom Wahnsinn nicht weit entfernt. Doch auch eine andere - weitaus bedenklichere - Verbindung ist zu erkennen: manch einer, der seinen Glauben an Midara erkennt, wird, so er sich in diesem Glauben nicht festigt, in letzter Konsequenz leicht Taram verfallen. Damit ist auch eine durchaus von den anderen Kulten anerkannte Funktion des Midara-Kultes aufgezeigt: er fängt die unzufriedenen und rachsüchtigen Zweifler ab, bevor sie zur Gänze dem Exzess verfallen.

Diese, welche Midaras Segen wie oben aufgezeigt getroffen hat, und welchen diese Tatsache in ihrer vollen Gänze bewußt wird, werden spontan - ohne Ritus, ohne Priester und ohne Unterweisung - zu Initiierten der Göttin. Sie werfen schmutzigbraune Kleidung über und wandern predigend und allzeit schlecht gelaunt durch die Welt, manchmal nur, bis sie das sie betreffende Unheil gesühnt haben.

Manchmal treffen hierbei viele solcher Unterdrückter zusammen, zumeist durch ein gemeinsames Ziel verbunden. Während ihres Sturmes auf einen Feind entsteht um sie eine Zone von Midaras Segen6.6 - das einzige was man als Tempel Midaras bezeichnen könnte.

Brennt in einen solchen Initiierten der Haß jedoch besonders stark, so mag sich ein Priester der Herrin finden, welcher ihn als seinen (stets einzigen) Schüler annimmt und ihn unterweist. Hauptinhalt dieser Unterweisung ist die grundsätzliche Einstellung, daß die Götter dem Menschen nichts schenken, und daß auch das von den Göttern gegebene Recht nicht dazu geeignet ist, Gerechtigkeit zu schaffen. Um sich sein Recht und seine Rache erzwingen zu können, werden die Schüler im bewaffneten Kampf - mit Schwert und Bogen - geschult. Ferner werden sie - schon weil ein Priester der Midara oft mit Tritten statt Worten zum Gehen aufgefordert werden mag - in der Kunst geschult, einem Angriff auszuweichen. Ziel der Unterweisung ist jedoch die Einstellung, daß die Götter jede Möglichkeit nutzen, dem Menschen Schlechtes zuzufügen, und daß Abhilfe darin besteht, seine Pläne mit starkem Blick auf die möglichen Schwachstellen - was alles schiefgehen kann - zu schmieden. Dieser über Jahre geschärfte Blick füer Schwachstellen ist es auch, die die Priester zu recht beliebten Ratgebern machen. Für eine gelungene Intrige nimmt man auch schlechte Laune beim Abendbrot hin.

Irgendwann einmal ist der Tag gekommen, an dem der Schüler den Meister nach der abschließenden Prüfung fragt. Die Antwort ist stets die gleiche: ,,Endlich fragst Du, Schüler. Die Prüfung steht jedem zu, der bereit ist, sie sich zu nehmen.`` Nun kommt es zu einer der seltenen Gelegenheiten, bei der mehrere Priester der Midara zusammenfinden.6.7 Drei Priester, einer davon der Meister wirken zusammen das wichtigste und zugleich geheimste Wunder der Göttin: den Götterausschluß. In der von diesem Wunder geschaffenen Zone ist - so die Interpretation der Priester - der negative Einfluß der Götter aufgehoben, nichts wird für eine begrenzte Zeit schiefgehen. Der Prüfling legt demzufolge eine unglaublich gute Prüfung ab, ist er doch zu Allem in einer Weise, die er selbst nie erahnte, befähigt. Das Ergebnis ist jedoch stets gleich: ,,Durchgefallen.``

Viele verbleiben Jahre- oder Jahrzehntelang in diesem Status des Anwärters, bis sie eines Tages - vielleicht nach einer nicht bestandenen Prüfung - ihren Meister fragen, warum sie nie bestehen, und von ihm eine gerechte Beurteilung fordern. Nun wird der Meister ihnen erklären, dass sie genau jetzt die Prüfung bestanden haben, welche darin bestand, Gerechtigkeit einzufordern. Die Anwärter sind nun vollwertige Priester und erlernen in den nächsten Tagen noch das Wunder des Götterausschlusses, bevor sich ihre Wege von denen ihres Meisters für immer trennen.6.8

Fortan wird er in der schmutzigbraunen Robe seines Kultes durch die Welt eilen, nach Gerechtigkeit und Rache und nach einem von der Welt schlecht behandelten Kind suchen, welches er erziehen kann.

2004-10-10